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Chick Corea & Bennie Wallace Trio (1985)

AMIGA 856100
(1 Exemplar – eigene Sammlung)

Covertext

Entschließt sich ein so exponierter und hochkarätiger Musiker wie Chick Corea zur Zusammenarbeit und zu Schallplattenaufnahmen mit einem Newcomer wie Bennie Wallace, so bedeutet dieser Entschluß sicherlich mehr als nur Neugier auf das Resultat dieses gemeinsamen Musizierens; diese Intention des langjährig Erfahrenen ist gleichwohl als Referenz und als Überzeugung von bedeutender eigenständiger Kreativität des Jungeren zu werten, dessen erste Schritte in Richtung internationaler Anerkennung zum Zeitpunkt dieser Aufnahmen erst kurzzeitig hinter ihm lagen.

Armando Anthony „Chick“ Corea – geboren am 12. Juni 1941 in Chelsea, Massachusetts – erhielt 1947 ersten Klavierunterricht und durch seinen Vater erste Improvisationspraxis. Seit 1962 hat Corea ständig reguläre Engagements. Blue Mitchell, Herbie Mann, Gary Burton, Hubert Laws, Sonny Stitt und Miles Davis waren einige Stationen seiner Karriere. Anfang der 70er Jahre konvertierte Corea – inzwischen auch auf elektrischen Keyboards heimisch – von der Free Jazz-orientierten Spielweise zum Jazzrock und etablierte 1972 mit der Gruppe „Return To Forever“ eine der exponiertesten und erfolgreichsten Formationen des „Electric Jazz“. Nicht zuletzt dank Coreas brillanter Technik, kombiniert mit seiner umfassenden Kenntnis europäischer klassischer und moderner Klavierliteratur sowie lateinamerikanischer und spanischer Musik (was ihn auch zum außerordent-ichen Komponisten befähigte) erreichte „Return To Forever“ mit ihrer spielerischen, verbindlichen und höchst kommunikativen Musizierweise ihre enormen Erfolge bereits in der Anfangsphase des Jazzrock. Seit dem Abklingen der Jazzrock-Welle betätigt sich Chick Corea wieder verstärkt auf dem klassischen Konzertflügel mit konzertanten Werken, in denen er seine Fähigkeiten als Komponist und Interpret gleichermaßen in höchster Brillanz entfaltet (Siehe LP Amiga 8 55 746 „Herbie Hancock – Chick Corea“).

Bennie Wallace – am 18 November 1946 in Tennessee geboren – begann als Zwölfjähriger Klarinette zu spielen und schloß auch sein Universitätsstudium auf diesem Instrument ab. Doch schon recht bald wurde das Tenorsaxophon, das er bereits in der Bigband der Oberschule spielte, zu seinem Hauptinstrument. 1971 ging Wallace nach New York, vorerst ohne jede Aussicht auf ein Engagement. Sein erster Arbeitgeber war der Pianist Monty Alexander; es folgten Aushilfs- und Gelegenheitsjobs in verschiedenen Formationen, bis ihm ein wohlgesinnter Restaurantbesitzer in New Yorks Künstlerviertel Greenwich Village eine Auftrittsmöglichkeit im Duo mit dem Bassisten Cameron Brown für vier Monate (täglich eine freie Mahlzeit inbegriffen!) anbot. Einladungen von Musikerkollegen ließen nicht lange auf sich warten, und bald gehörte Wallace zu der sich damals formierenden „Loft-Jazz“- Szene. Jedoch gelang erst 1978 die Produktion seiner ersten Schallplatte, mit der sich die Aufmerksamkeit auf diesen begabten Tenorsaxophonisten auch im internationalen Rahmen zu richten begann. Seither erlebte er einen Senkrechtstart auf zahlreichen Festivals, allerdings fast ausschließlich in Europa; in den USA blieb ihm der verdiente Erfolg bislang weitgehend versagt.

Die Spielweise von Bannte Wallace gewinnt ihre Faszination und Ausstrahlungskraft durch ihren unverkennbaren Traditionsbezug. Die Erfahrungen und Erkenntnisse solcher Größen wie Coleman Hawkins, Ben Webster, Albert Ayler, Eric Dolphy, vor allem jedoch unüberhörbar Sonny Rollins, dagegen eigenartigerweise nicht John Coltrane, sind im Spiel von Wallace präsent. Das vielgestaltige Spektrum dieser Saxophontradition hat er bewußt in sich aufgenommen und die zuweilen schroffen Gegensatzlichkeiten seiner Vorgänger zu einem originalen persönlichen Stil verschmolzen. Gehauchte Balladenintensität, kantige Hektik des Bebop und Freitonalität vereinigen sich mit weitgespanntem Ideenreichtum im Spiel von Wallace zu einer nahtlosen Synthese und machen ihn zu einem sofort Aufmerksamkeit beanspruchenden Tenorsaxophonisten des zeitgenössischen Jazz.

Das wird auch durch die Aufnahmen der vorliegenden Schallplatte deutlich, bei denen Eddie Gomez und Dannie Richmond als hervorragende Begleiter von Bennie Wallace agieren, die jedoch besonders durch die Mitwirkung eines stilistisch so gegensätzlichen Partners wie Chick Corea an Intensität und Spannung gewinnen.

Bebop-artig, in bester Jazztradition steht das Tenorspiel von Bennie Wallace in dessen Komposition „The Bob Crosby Blues“, dem Chick Corea einmal nicht mit der ihm oftmals eigenen Verbindlichkeit entgegentritt, vielmehr wird hier der Geist eines Thelonious Monk beschworen: Schroffe Stilistik und freigestaltete Harmonik durchbrechen die Tradition, ohne den Blues zu negieren. Ein typischer Chick Corea tritt in „Mystic Bridge“ hervor. Seine sensible spielerische Eleganz kontrastiert mit dem kraftvoll-dynamischen Spiel von Wallace, beide Elemente integrieren einander hervorragend, und Eddie Gomez steuert zudem eine melodisch phrasierte Baßimprovisation bei.

„My One And Only Love“ präsentiert Wallace als Balladengestalter. Im spannungsreichen Dialog mit Chick Corea gewinnt diese vielgespielte Ballade unter den Händen zweier profilierter Improvisatoren hier eine faszinierende neue Dimension. Auf der Harmonik der Musicalmelodie „Darn That Dream“ basiert der im 5/4-Takt gespielte „Foxtrot“, in dem Wallace das Motiv des Originaltitels mit seiner eigenen Gegenkomposition verschmilzt und diese Verbindung weiterentwickelt. Im Abschlußtitel der Platte folgt nach dem Thema „’llowed“ von Doug Davis (Komponist zeitgenössischer E-Musik, Freund und Studienkollege von Wallace) das bravouröse Finale dieser Session „Head“, in dem trotz atemberaubenden Tempos entspannt improvisiert wird.

Diese von der internationalen Jazzkritik hoch bewertete Schallplatte demonstriert erneut, daß einengende stilistische Kriterien und Gegensätzlichkeiten bedeutungslos sind, wenn zwei derartig profilierte, von gleicher Intention und Inspiration beseelte Musiker wie Chick Corea und Bennie Wallace aufeinandertreffen und das schaffen, was das Prädikat zeitgenössischer Jazz von Qualität und von Bestand zu Recht verdient.

Gerhard Hopfe (1985)

Titelliste

A1 – The Bob Crosby Blues – 8:11
(Bennie Wallace)

A2 – Mystic Bridge – 9:46
(Chick Corea)

B1 – My One And Only Love – 6:36
(Wood – Mellin)

B2 – Foxtrott – 8:43
(Bennie Wallace)

B3 – ‚llowed/Head – 5:22
(Doug Davis – Bennie Wallace)

Bennie Wallace (ts)
Chick Corea (p)
Eddie Gomez (b)
Dannie Richmond (dr)

rec. 4./5. Mai 1982, New York
Übernahme von Enja Records, München/BRD

VEB DEUTSCHE SCHALLPLATTEN BERLIN DDR
Made in the Gerrnan Democratic Republic
Titelseite: (von links nach rechts) Bennie Wallace, Chick Corea, Dannie Richmond, Eddie Gomez
Fotos: enja
Gestaltung: Christoph Ehbets
Lithografie und Druck: VEB VMW „Ernst Thillmann“, Werk Gotha-Druck
Ag 511/01/85/A Verpackung nach TGL 10009

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