Errol Garner (1976)
AMIGA 855497
(1 Exemplar – eigene Sammlung)
Covertext
Der schwarze amerikanische Jazzpianist Erroll Louis Garner wurde am 15. Juni 1921 in Pittsburgh, Pennsylvania, als Sohn eines Pianisten geboren. Schon als Kind soll er Ragtime-Musik, die er von mechanischen Klavieren hörte, aus dem Gedächtnis nachimprovisiert haben. Mit sieben Jahren spielte er mit einer Schülergruppe in einer Rundfunksendung und gab wenige Jahre später, zusammen mit dem gleichaltrigen Bassisten Jimmy Blanton, Gastrollen in einer von Fate Marables Riverboat-Kapellen. Er hielt es nie lange bei einem Lehrer aus und stand sein Lebtag mit dem Notenlesen auf Kriegsfuß. Er verließ die Schule ohne formellen Abschluß, versuchte sich nebenbei als Profi-Boxer und spielte ab und an in Pittsburgher Kapellen und für Theater-Shows. Im Jahre 1944 begann er in New York seine Laufbahn als Berufsmusiker und machte seine ersten Schallplattenaufnahmen. Außerdem spielte er 1945 u. a. in Gruppen um die Musiker Slam Stewart und Don Byas sowie 1947 im Charlie Parker Quartet.
Garner hat wahrscheinlich mehr Klavieraufnahmen eingespielt als irgend ein anderer Jazzpianist. Seine Gesamtproduktion anzuhören, würde heute weit über hundert Stunden in Anspruch nehmen. Seine Musik fand große Resonanz beim breiten Publikum, so daß er – zum Unterschied von vielen seiner wagemutigeren Kollegen des Modern und des Free Jazz – ein wohlhabender Mann wurde.
Garner ist ein phantasievoller Improvisator mit schneller Auffassungsgabe, phänomenalem Gedächtnis, ungewöhnlichem rhythmischem Instinkt und großer manueller Leichtigkeit. Mit entwaffnender Bedenkenlosigkeit assimiliert er alles, was er hört; er vereinigt Eigentümlichkeiten älterer Jazzpianisten (James P. Johnson, Fats Waller, Art Tatum u. a.) mit Anregungen des Bebop-Stils, aber auch mit Elementen europäischer Virtuosen-Pianistik (Liszt, Debussy, Rachmaninow) zu einem oft fesselnden, stets aber unterhaltenden und eigenständigen Personalstil. Er spielt orchestral und schöpft die technischen, dynamischen und klangfarblichen Möglichkeiten des Klaviers voll aus.
Stilelemente europäischer Herkunft werden am stärksten wirksam in Garners erotisch-sentimentalen „ballads“ (Titel 1, 6 und 9), die sich mit der behaglichen Langsamkeit, aber auch mit der unbeirrten Gleichmäßigkeit eines Pendels von Großvaters alter Standuhr bewegen, und die man am besten bei gedämpftem Licht anhört.
Unverwechselbaren Garner hingegen finden wir in seinen mäßig schnellen und schnellen Stücken (Titel 2, 3, 4, 5, 8 und 10). Seine linke Hand „schlägt“ mit bestechender Tempofestigkeit die vier Zählzeiten, oft in weitgriffigen, schnell arpeggierten Akkorden, wie auf einer Rhythmus-Gitarre (Titel 2, 4 und 8). Sein „beat“ ist so klangvoll, plastisch und entschieden, daß es kaum einen Unterschied macht, ob er solo spielt (Titel 8 und 10) oder von Baß und Schlagzeug unterstützt wird. Seine Rhythmusgruppen wurden immer wieder umbesetzt und die Namen seiner Begleiter blieben – wie auch auf dieser Platte – oft ungenannt.
Die melodischen Improvisationen der rechten Hand spielt Garner als Einzelton-Linien oder als Oktav- und Blockakkord-Passagen; hinzu kommen charakteristische Akkord-Tremoli und Repetitionen, sowie glitzerndes, virtuoses Skalen- und Arpeggienwerk.
Nicht nur im raffinierten Setzen spannungsgeladener Pausen (Titel 1 und 10) oder in vielfältigen Rubato-Verschiebungen, sondern vor allem in der Manier, ganze melodische Phrasen mit schlafwandlerischer Sicherheit dem unverrückbar geschlagenen „beat“ gegenüber zu verschleppen und so asynchrone rhythmische Schichtungen zu erzeugen, offenbart sich Garners besondere rhythmische Begabung. Der amerikanische Jazzschriftsteller Marshall W. Stearns nannte die Wirkung dieser Technik „bewußtseinsspaltend, so, wie wenn man mit einer Hand in einer Richtung über den Magen reibt und mit der anderen entgegengesetzt über den Kopf“.
Garners Personalstil war von Anfang an deutlich erkennbar und hat sich im Verlauf seiner Karriere nicht grundsätzlich gewandelt; so ist auch von den 1946 aufgenommenen Titeln (Titel 5 und 7) bis zu den übrigen, ein knappes Jahrzehnt später entstandenen kaum eine Entwicklung zu bemerken.
Um dem Publikum zu gefallen, hat Garner manche Konzession gemacht; aber nicht in der Rolle des Barpianisten oder des Konzertvirtuosen aus zweiter Hand, sondern als Vollblut-Jazzmusiker leistete er Unüberhörbares. Seine gelungensten Improvisationen (Titel 3 und 10) sind vitaler, ideen- und abwechslungsreicher moderner Swing von bleibendem Wert
André Asriel (1976)Titelliste
A1 – Misty – 2:47
Komposition: Garner / Burke, rec. 27. 7. 1954
A2 – Exactly Like You – 3:10
Komposition: McHugh / Fields, rec. 27. 7. 1954
A3 – You Are My Sunshine – 3:26
Komposition: Davis / Mitchell, rec. 27. 7. 1954
A4 – What Is This Thing Called Love – 2:54
Komposition: Porter, rec. 10. 5. 1955
A5 – Frantonality – 2:55
Komposition: Garner, rec. 9. 4. 1948
B1 – Again – 2:33
Komposition: Newmen / Cochran, rec. 10. 5. 1955
B2 – Where Or When – 2:50
Komposition: Rodgers / Hart, rec. 26. 7. 1948
B3 – Love In Bloom – 5:26
Komposition: Robin / Rainger, rec. 14. 3. 1965
B4 – Through A Long And Sleepless Night – 2:56
Komposition: Newman / Gordon, rec.10. 5. 1955
B5 – That OId Feeling – 5:16
Komposition: Brown / Fain, rec. 14. 3. 1955
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